Freie-Straßen-Prämie
#FSP Das Instrument diskutieren und mitgestalten
Konzeptpapier_Version 1
Die Freie-Straßen-Prämie
Wer hat sie nicht, die Sehnsucht nach freien Straßen? Changing Cities und das ium-Institut für urbane Mobilität greifen mit der neuen Freie-Straßen-Prämie (FSP) auf ein bewährtes Instrument zurück: die Konsumprämie, interpretieren es aber neu. Die FSP ist eine flexibel verwendbare Mobilitäts-Prämie und eine Kurze-Wege-Prämie in einem. Sie ist eine Belohnung für alle, die aktiv und dauerhaft zu freien Straßen beitragen. Sie setzt damit auf freiwillige Anreize für ein Verkehrswende-verträgliches Verhalten. Ziel der FSP ist es, die Verkehrswende zum Selbstläufer zu machen.
Verkehrswende heißt nicht, einfach nur vom Auto auf das E-Auto umzusteigen. Die Förderung der lebenswerten und am Menschen orientierten Stadt erreichen wir nur über eine signifikante Verringerung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), das heißt: weniger Autos, sowohl parkend als auch fahrend. Die Entwicklung ist jedoch genau gegenläufig: Immer mehr Autos verstopfen die Städte. Wir müssen also handeln und effektivere Instrumente entwickeln. Die Anzahl der Personenkraftwagen ist in Berlin im Verlauf der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich gewachsen. 2020 wurden insgesamt 1,22 Millionen PKW registriert (Statista). Nicht nur die Menge, auch die Größe der Autos nimmt seit Jahren zu und verbraucht öffentlichen Raum. Rechnerisch werden gerade einmal fünf Prozent der Autos effektiv gebraucht. Selbst während der Rush-Hour sind heute nur ca. zehn Prozent aller Autos tatsächlich im Einsatz. Das “liebste Kind” der Deutschen ist durchschnittlich nur zu 25 Prozent ausgelastet (im Durchschnitt sitzen 1,3 Personen in einem Auto mit fünf Sitzen) und wird nur eine halbe Stunde pro Tag bewegt. Die restlichen 23,5 Stunden des Tages steht es ungenutzt herum, sehr häufig im öffentlichen Raum. Rund die Hälfte aller in Berlin gemeldeten Kraftfahrzeuge (Kfz) wird nahezu kostenlos auf städtischen Parkflächen abgestellt. Rechnet man diese zusammen, so misst die Fläche das Vier- bis Fünffache des Tempelhofer Feldes. Das wäre viel Platz für Fuß- und Radverkehr, öffentliche Begegnungs- und Aufenthaltszonen.
Von Seiten der Politik gibt es Bewegung, wie die vermehrte Förderung des Radverkehrs oder die Diskussion zur Einführung einer City-Maut. Beim Thema Parken und Parkraumbewirtschaftung tun sich die Entscheidungsträger*innen jedoch noch schwer, obwohl dies eine der effektivsten Maßnahmen ist, um Autoverkehr zu vermeiden. Das Parken im öffentlichen Raum ist in Deutschland so einfach und billig wie in kaum einem anderen europäischen Land.
Das Prämienprinzip: Kfz-Reduzierung über Anreize
Es lassen sich grob zwei Arten von politischen Steuerungsinstrumenten unterscheiden - Push- und Pull-Maßnahmen. Während die Push-Maßnahmen auf Verbote und Sanktionen setzen, um unerwünschtes Verhalten zu verhindern - wie z. B. im Fall der Beschränkung und Bepreisung von Parkmöglichkeiten - setzen Pull-Maßnahmen auf die Belohnung des gewünschten Verhaltens. Die Freie-Straßen-Prämie ist eine Pull-Maßnahme. Sie ist ein monetärer Anreiz, um jene zu belohnen, die freiwillig das eigene Auto abschaffen oder sich weiterhin keines anschaffen. Sie ist der Dank an diejenigen, die die Straßen frei halten.
Wer volljährig ist und in einem Kalenderjahr kein eigenes Auto angemeldet bzw. zur privaten Nutzung überlassen bekommen hatte, erhält mit der FSP eine jährliche Prämie. Die geeignete Höhe der Prämie muss zu Beginn der Einführung festgelegt werden, sie kann je nach Einsatzgebiet auch variieren und im Laufe der Geltungsdauer nach oben oder unten korrigiert werden. Als Orientierung kann z. B. der Preis für ein Jahresabo des öffentlichen Verkehrs herangezogen werden. In Berlin wären das rund 1.100,-- Euro, der Preis für eine VBB-Umweltkarte im Geltungsbereich ABC. Instrumente wie die Einführung von Parkraumbewirtschaftung oder die Erhöhung von Parkgebühren sind in der Bevölkerung umstritten und erzeugen Widerstand. Die Frage ist daher: Wie erreichen wir, dass die Menschen sich freiwillig und dauerhaft gegen ein eigenes Auto und für nachhaltige Mobilitätsformen entscheiden? Wir schlagen die „Freie-Straßen-Prämie“ als innovatives Instrument vor, um die Anzahl der Fahrzeuge im öffentlichen Raum signifikant und effektiv zu reduzieren.
Antrag und Auszahlung
Die Zuständigkeit für die administrative Abwicklung der Prämie, also die Antragsprüfung, Bewilligung und Auszahlung, würde bei einer Verwaltungsbehörde liegen. Zu diskutieren wäre, auf welcher politischen Ebene, ob Bundes-, Landes- oder Kommunalebene, die Prämie eingeführt werden und ob überall die gleichen Konditionen gelten sollten. Alternativ könnten z. B. Flächenverfügbarkeit, Siedlungsdichte oder Bodenpreise bei der Bemessung der Prämie berücksichtigt werden. Um unnötige Bürokratie zu vermeiden sollte die Leistungsbearbeitung (Antragsprüfung, Bewilligung und Auszahlung) idealerweise auf Plausibilitäts- und Vertrauensbasis erfolgen und Abfragen stichprobenhaft und anlassbezogen sein.
Finanzierung
Welche Finanzierungsquellen sind denkbar und wie lässt sich die Finanzierung realisieren? Aus rein administrativer bzw. organisatorischer Perspektive könnte die Freie-Straße-Prämie mit einem entsprechenden politischen Beschluss bereits 2021 eingeführt werden, da weder Veränderungen im Straßenland noch neue technische Systeme erforderlich sind. Dem steht aus haushalterischer Sicht jedoch die noch ungeklärte Finanzierung entgegen. Wir schätzen das jährliche Gesamtvolumen der „Freie-Straßen-Prämie" am Beispiel Berlins auf rund eine Milliarde Euro. Es sind verschiedene Finanzierungsquellen denkbar, z. B. könnten die Mittel über
- Einsparungen bereitgestellt werden, die sich aus einem verringerten Verkehrsaufkommen ergeben, wie zum Beispiel in den Bereichen Klimaschutz und Immissionsreduktion, Straßenbau und -betrieb sowie weiteren verkehrsbedingten Schäden und Kosten
und/oder
- Einnahmen aus einer Straßennutzungsgebühr und/oder einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung als Gegenfinanzierung genutzt werden. Diese Maßnahmen würden durch die „Freie-Straßen-Prämie" zugleich eine breitere Akzeptanz erfahren.
und/oder
- Eine Bundesförderung, z. B. ähnlich der Regionalisierungsmittel für den SPNV. So könnten freie, sichere, lebenswerte und gerecht nutzbare Straßen in Großstädten auch als Teil der Daseinsvorsorge verstanden werden und die Fehlsubventionierungen des Bundes, die zu den zu vielen Autos geführt haben ausgeglichen werden.
und/oder
- Die Zulassung eines Pkw wird deutlich teurer und Privilegien werden abgebaut.
Wirkung
Die Wirksamkeit der Prämie soll überprüft werden. Unser Vorschlag ist eine ein- bis zweijährliche Evaluation. Als Kennzahl für das Beispiel Berlin betrachten wir das Reduktionsziel von rund 60.000 Kfz pro Jahr, aufbauend auf dem durch das Bündnis „Berliner Straßen für alle“ erarbeiteten Erfolgsmaßstab. Wenn dieses Ziel nicht erreicht sein sollte, muss nachgesteuert werden, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Prämie oder flankierende Maßnahmen. Sollte das finale Ziel der Reduktion der Anzahl der Autos und damit des Autoverkehrs und der Aufwertung der Straßenflächen zufriedenstellend erreicht sein, soll die Prämie entweder abgeschafft oder für andere gesellschaftliche Ziele anpasst weitergeführt werden.
Auch unerwünschte Nebenwirkungen müssen im Blick behalten werden. Es ist davon auszugehen, dass die Reduktion von privatem Autobesitz die Nachfrage nach Car- und Ride-Sharing-Angeboten erhöht. Damit diese den ÖPNV nicht “kannibalisieren”, ist eine geeignete Konzessionierung und städtische Steuerung erforderlich, so dass diese ihr Angebot verstärkt in den Randbezirken als Ergänzung zum ÖPNV ausbauen.
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